Lieber Luther

Lieber Luther

Freitag, 25. März 2016

Karfreitag, Ostern, Jesuskult

Lieber Luther,

lang habe ich gezögert, ob ich dir zu Ostern schreiben soll. Wahrscheinlich setzte ich mich wieder einmal bei einer bestimmten Fraktion in die Nesseln. Ostern, ein Datum, das sich nach den Mondphasen richtet. Was sollen wir von diesem Fest, das die meisten heute nur noch als Familienfest oder zusätzliche Urlaubszeit feiern, halten? Fassen wir zusammen:

Jesus hat wohl gelebt, aber was war er? Ein Charismatiker? Ein Querkopf, der sich mit weltlichen und jüdischen Machthabern angelegt hat? Einer, der in die Mühlen der vermeintlich Rechtwollenden und -schaffenden gekommen ist? Ein Außenseiter? Ein Querdenker? Einer, der Unbeugsam war? Fanatisch?

Er war wohl ein Gläubiger. Ein kritisch Gläubiger. Einer, der nicht geglaubt hat, was die christlichen Kirchen heute über ihn erzählen. Da hätte seine Fantasie und Bildung nicht ausgereicht, um sich das auszudenken oder vorherzusehen. Er war einer, der wie Tausende andere, irgendwann ins Fadenkreuz der politischen und kirchlichen Fahnder geriet und dann ans Kreuz geschlagen wurde und dort elendig zugrunde ging. Ans Kreuz wurden damals nur die Outcasts geschlagen, die gesellschaftlich und sozial Ausgestoßenen. Die Letzten der Letzten.

Was wissen wir historisch von Jesus? Nichts, als dass er wohl gelebt hat und vermutlich am Kreuz starb, aber auch das ist historisch nicht wirklich gesichert. Wie ist er dann zu dem geworden, was er ist? Einer, dessen Folterinstrument, an dem er starb, zu seinem Ruhm wurde, ja zum Symbol für die gesamten christlichen Kirchen. Paradox, dass viele Menschen bis heute ein Folterinstrument, das Kreuz, als Schmuck um den Hals tragen.

Heute würde man das Phänomen „Jesus“ und der Kult, der darum betrieben wird, als Resultat einer genialen Marketingstrategie sehen. Jesus wurde – in heutiger Analyse und Sprache - von guten Marketingstrategen über Jahrhunderte zum Superstar aufgebaut. Mit einer fingierten Biographie, die ihm ein Alleinstellungsmerkmal sicherte: Gezeugt vom Heiligen Geist, geboren von einer Jungfrau, wundertätig – und - am Ende der Clou: Für die Sünden der gesamten Menschheit den Märtyrertod am Kreuz gestorben, um die ganze Welt zu entsündigen, personal von den Toten auferstanden, als Auferstandener seinen Jüngern personal begegnet, personal aufgefahren in den Himmel, wo der zur Rechten seines Vaters, Gott persönlich, sitzt und uns irgendwann im Endgericht zu sich zieht. Irgendwie wird Jesus dann zur 3 Personen in einer: Vater, Sohn und Heiliger Geist. So wird es im Glaubensbekenntnis hergebetet. Das sind die Grundpfeiler christlicher Religion.

Mit diesem kirchlichen Superstar lassen sich seit zwei Jahrtausenden veritable Geschäfte machen und Egos pflegen. Von und in Abhängigkeit von Jesus Christ Super Star verdienten und verdienen viele Menschen auf der ganzen Welt.

Ob Jesus schon durch den geistlichen Zeugungsakt göttlich geboren, durch die Taufe göttlich geworden oder erst durch den finalen Akt seiner Himmelfahrt zum Gott aufgestiegen ist, darüber sind sich schon die Evangelisten nicht einig, geschweige denn nachkommende Kleriker, Theologen und Schriftsteller. Entsprechend wird bis heute debattiert, wie es sich wohl verhält und je nach Kirchenschule, Glaubensüberzeugung und Forschungsrichtung kommt man zu einem anderen Ergebnis. Glaube in christlicher Prägung ist Glaube an die nach Jesus aufgestellten Dogmen und Theorien über ihn. Ohne das ganze theoretische Brimborium und den Personenkult um ihn, wäre Jesus nichts als ein gläubiger Mensch, der für seine Glaubensüberzeugungen, die nicht die herrschenden waren, eingestanden ist.

Wenn wir heute über den christlichen Osterzyklus nachdenken:
Palmsonntag, mit dem Einzug Jesu in Jerusalem,
Gründonnerstag: Abendmahl und Fußwaschung,
Karfreitag, Jesu Kreuzung und Verfinsterung der Welt,
Ostersonntag, seine Auferstehung und sein personales Erscheinen und
Himmelfahrt mit Jesu personalem Auffahren in den Himmel.

Es ist Personenkult, der um Jesus betrieben wird, Jesus-Kult. Davon leben die christlichen Kirchen, die Kleriker und Theologen, all diejenigen, die unter der Marke „Jesus“ Geschäfte machen und Geld verdienen.

Nur, die Welt ist inzwischen global geworden, die Menschen nehmen den christlichen Kirchen ihre Leitsätze und Dogmen nicht mehr ab. Zwar glauben zwei Drittel der Menschen in Deutschland zu glauben, aber bei weitem nicht an alles, was die Kirchen gerne hätten, dass sie glauben. Der moderne Mensch informiert sich über Religionsgrenzen hinweg. Die Menschen glauben, lassen sich aber nicht mehr vorschreiben, was sie glauben sollen. Sie durchschauen das christliche Moralgebäude und sind nicht mehr willens, sich durch es unter Druck setzen oder überhaupt beeinflussen zu lassen. Die Institution „Kirche“ wird, wenn überhaupt, mehr als Sozialeinrichtung, denn als Glaubensinstanz wahrgenommen und von den Menschen, insbesondere den Älteren, genutzt und akzeptiert. Zu schräg und verstaubt sind die Dogmen, die bis heute vertreten werden. Sie schrecken mehr ab, als dass sie anziehen.

An einen personalen Gott glaubt heute nur noch ein kleiner Teil der Menschen, das zeigen statistisch repräsentative Umfragen. Und an Jesus als einen Gott auch nur noch der kleinere Teil der Zeitgenossen. Die Marketingstrategie der Kirchen funktioniert nicht mehr und die Kirchen sind nicht zu einem dogmatischen Frühjahrsputz bereit, da er ihnen weitgehend ihr theologisches und institutionelles Fundament weghauen würde. Sie haben kaum eine andere Wahl. Sie sind gefangen in ihren eigenen Fangstricken.

Zurück zu Ostern. Welche Natur hat das Osterfest unter diesem Blickwinkel? Wir wissen quasi nichts über Jesus. Was überliefert ist, deutet auf einen Menschen hin, der aus ärmlichsten Verhältnissen kam, ungebildet war, aus der untersten Klasse stammte und für die Armen der Ärmsten eingestanden ist, ihnen eine Perspektive, eine Hoffnung, einen Glauben gegeben hat, nicht an ihn als Person, sondern an Gott, den er Vater nannte, von dem er sprach als sei es sein Vater. Er nannte ihn Vater, weil er sich von ihm allein umsorgt fühlte, weil er auf ihn allein vertrauen konnte, weil er sich ihm allein verbunden und verpflichtet fühlte. Er war ganz auf Gott ausgerichtet, einen monotheistischen Gott in jüdischer Tradition, aber ohne weltlich orientierte jüdische Moral- und Verhaltensregeln.

Jesus vertrat einen Gott, der sich nicht durch Menschen begrenzen oder vereinnahmen lässt, einen, den man im täglichen Leben erfahren kann. Einen, auf den man vertrauen kann, im Leben und im Sterben. Es ist ein Gott, der uns zu sich ins Leben führt, auf wunderbare Weise, die für uns nicht erklärlich ist und die man auch nicht erklären braucht, sondern nur leben und glauben. Jesus predigt einen Gott, der Demut erfordert und ein gutes inneres Ohr, um ihn zu hören. Einen, der keine Religion braucht. Jesus hat sich am Rande oder gar außerhalb seiner Glaubenstradition bewegt. Genau lässt sich das nicht mehr feststellen.

Der feste Glaube an diesen Gott ist das, was wir an Jesus lernen können. Ein Glaube, der auch nicht angesichts der menschlichen Gewalt, Verwüstung und Verrohung der Menschen, der Einsamkeit und Unverlässlichkeit seiner engsten Freunde ins Wanken kam. Und selbst wenn er doch ins Wanken gekommen sein sollte, spricht das nur für sein Menschsein, für das Brudersein Jesu im Glauben.

Die Evangelisten, Theologen, Historiker und Schriftsteller sind sich wie bei Jesu Geburt auch über sein Sterben nicht einig. Wie könnten sie auch, es war keiner dabei, auch keiner, der später aufgeschrieben hat, was Jesu angeblich gesagt und getan hat, als er starb. Absolute Wahrheiten gibt es in dieser Hinsicht nicht. Vielleicht starb Jesus genauso namenlos und unspektakulär wie Tausende andere. Es ist eine Möglichkeit, die genauso plausibel oder unplausibel ist wie jede andere. Das Wie ist reine Spekulation. Nur soweit kann Konsens zwischen allen Menschen hergestellt werden: Sterben muss jeder, musste auch Jesus. Alles andere darüber hinaus kann man glauben, muss es aber nicht, was nicht heißt, dass man nicht glaubt, sondern nur, dass man die Ausschmückungen und Dogmen christlicher Prägung nicht zwangsläufig glauben muss.

Lieber Luther, du sollst keine anderen Götter neben mir haben. Das ist das erste und vornehmste Gebot. Ich bin sicher, das galt auch und gerade für Jesus. Den christlichen Kult, den man um seinen Tod (und seine Geburt) nachträglich machte, ist – wie das Wort schon sagt – Kult um jemanden, den man – unfreiwillig - zum Superstar ernannt hat, vor dem Hintergrund von mannigfaltigen Interessen. Die Osterbräuche sind eine Umdefinition heidnischer Bräuche in christliche. Man musste dem Volk etwas bieten. Mit Brot und Spielen, das wussten nicht nur die weltlichen Herrscher, ködert man die Massen. Das lässt sich historisch auch nachvollziehen.

Viel Menschenblut und -not kostete das Marketing der kirchlichen Machtstrategen – insbesondere für Protzbauten und Kriege. Vielleicht wäre es eine gute Idee, heute – an Karfreitag – an diese Menschen zu denken: an die Opfer, die den Theologen, Klerikern und Kirchenleuten, den Religionen weltweit zum Opfer fielen und fallen. Karfreitag als Gedenktag an den Tod Jesus und an alle Opfer von Religionen und religiöser Verfolgung. Karfreitag hätte als Gedenktag einen Sinn, den auch Jesus mittragen könnte.

Lieber Luther, Religion und Glauben sind zwei Paar Stiefel: Dafür stand, steht und starb Jesus. Das war sein Ruhm, nicht sein unrühmlicher Tod. Den hat er sich wahrscheinlich auch angenehmer gewünscht, jedenfalls ist er nichts, was es zu feiern gibt. Nicht für den- und diejenigen, die so sterben mussten, nicht für diejenigen, die diese Tode zu verantworten haben, und schon gar nicht für diejenigen, die diesen grausamen Tod nachträglich glorifiziert haben und weiterhin glorifizieren.

Herzliche Grüße
Deborrah

Samstag, 12. März 2016

Gottes Säulen

Lieber Luther


Psalm 75 ist der Anlass, dir wieder einmal zu schreiben. Gottes Wort wird hier ziemlich unterschiedlich zitiert, je nach Übersetzung. Ich habe etwa 10 gelesen und sie sind ziemlich unterschiedlich, abhängig, wie immer, von der Glaubensauffassung, die dahintersteht. Was soll uns Psalm 75 sagen?

Es geht um Gottes Zeitlosigkeit, um sein Wirken in einem verhüllten Zeit-Raum, um seine Unbegrenztheit und seine Ewigkeit. Es geht darum, dass er uns sagt, dass er uns im Jetzt eine Stütze ist, eine Säule, auf die wir bauen können. Und es geht um Demut. Gott sagt uns:

„Denn zu seiner Zeit, so werde ich recht richten. Das Land zittert und alle, die darin wohnen; aber ich halte seine Säulen fest“ (Ps 75:2-3)

Gott sagt, wenn ich meine Verabredung mit euch habe, zu meiner Zeit, mache ich den Boden eben, schaffe eine friedliche und heilsame Ordnung in euch, mache alle Berge flach, so dass ihr keine Mühe mehr habt. Ich versammle mich mit euch nicht im Osten, Westen oder Süden, nicht an euren Orten, nicht bei eurem Aufgang noch bei eurem Niedergang, nicht bei eurer Geburt, noch bei eurem Tod. Ich versammle mich mit euch in einer Weise, die unabhängig von eurem Verständnis von Zeit und Raum ist.

Seid ihr auch mutlos, verzagt, verwüstet euch selbst und euren Planeten: Meine Säulen und diejenigen die ich dazu gemacht habe, stehen fest. Weder wanken sie, noch fallen sie. Meine Statik hält in Ewigkeit. Auch wenn ihr euch aufschwingt, über mich zu richten, mein Sein in Frage stellt, euch über mich erhebt, gegen mich in den Krieg zieht, versucht, meine Säulen ins Wanken zu bringen: Ihr könnt mir nichts anhaben.

Ihr vertraut auf eure Intelligenz, auf euer Wissen, das sich auf Wissenschaft stützt, anstatt auf Erkenntnis und Weisheit und zerstört mit eurem ganzen Wissen und eurer scheinbaren Wissenschaft euch und eure Lebensgrundlage. Mit eurer Ausbeutung der Natur, mit eurem Umweltfrevel, schlagt ihr immer tiefere Wunden in ihr Gleichgewicht, bringt die Säule eures Daseins ins Wanken und am Ende ins Einstürzen. Mit Eurer Gentechnik und euren Manipulationen des Menschen versucht ihr Gott zu spielen und überseht nicht, was ihr anrichtet. Mit immer erfinderischeren Kriegswaffen versucht ihr euch gegenseitig zum Einsturz zu bringen, ohne Rücksicht auf Verluste. Ihr schlagt euch mit eurem ganzen Wissen selbst euer Lebens-Fundament weg. Ihr führt euch auf wie Narren.

Jedoch: Meine Säulen wanken nicht. Ich habe sie eingezogen und ihr könnt sie, was immer ihr anstellt, nicht einmal ins Wanken bringen, geschweige denn zum Einsturz. Ihr könnt euch nicht, wie sehr ihr euch auch anstrengt und es euch einbildet, über mich aufschwingen. Seid nicht so selbstgewiss, arrogant, stolz und überheblich. Ihr seid wie ein eitler Gockel, der seinen Kamm zu hoch stellt.  Euer leeres Geplapper ist nichts als Bewegung von Zunge und Kiefer, ihr wisst nicht, was recht ist, ihr denkt nur, es zu wissen.

Ich aber weiß, was recht und gerecht ist im Ausgleich allen Seins, in der Einebnung aller Ungerechtigkeiten, im Ausgleich zwischen reich und arm, zwischen Freiem und Unterdrückten, zwischen böse und gut. Nur ich bin es, der dies vermag. Nur ich bin der Weg zur zeitlosen und ortsungebundenen Gerechtigkeit, zum ewigen Gut. Ihr seid wie ein Becher schäumender Wein in meiner Hand, gewürzt mit allen Facetten des Lebens. In euch gärt es, arbeitet es, schäumt auf und über. Das Leben müsst ihr mit allen Zutaten trinken, das ist euch als Mensch immanent.  Aber irgendwann, das ist der Trost, nach Ende des Gärungsprozesses, werdet ihr alter und guter Wein sein.

Denn: Meine Säulen stehen fest: Ich lasse nicht zu, dass mein Wein umkippt und zu ungenießbarem Essig wird. Amen.

Herzliche Grüße
Deborrah

Samstag, 16. Januar 2016

Nichtsoweiter, Ohrenbläser

Lieber Luther,

Die (falschen) Worte des Ohrenbläsers, der Spruch für den gestrigen Tag, ist mir, wie eigentlich immer, gestern im Leben begegnet. Ich habe einen Text gelesen, einen Vorstellungstext und gedacht: Den kennst du doch. Eine Passage ist mir darin damals schon aufgefallen, weil sie offensichtlich geflunkert war, und nun stand sie schon wieder da.

Nachgeschaut, und tatsächlich, ich bin fündig geworden, ein Griff und ich hatte das Heftchen zur Hand. 2008 geschrieben. Der beinah identische Text, Alter, Frau und Ort ausgewechselt, eiliges Leben, und fertig ist die Laube.

Alte vergilbte Tapeten für neue zu verkaufen, in der Hoffnung oder sogar Erwartung, dass es keiner merkt - wer hat schon so ein langes Gedächtnis - mag arbeitsökonomisch sein, ist aber dennoch Unrecht an den Menschen, an die sie gerichtet sind, sie denken und erwarten, das Gesagte komme aus ehrlichem Herzen und entspreche der Wahrheit und es ist doch nichts als Betrug.

Wer die Sprüche in der Bibel liest, liest viel über wahre und falsche Lippen, über Aufrichtigkeit, die von Herzen kommt und Falschheit. Ein ehrliches, reines Herz belügt die Mitmenschen nicht. Vor Gott, das ist die Botschaft, besteht kein falscher Ohrenbläser, dessen Zunge sich windet wie eine falsche Schlange, damit sie verbirgt, was er wirklich denkt. Es ist Respekt- und Lieblosigkeit dem Mitmenschen gegenüber, ihn unehrlich zu behandeln. Ehrlichkeit heißt nicht, der Katze um den Bart zu gehen, sie heißt auch nicht, das falsche oder ehrliche Herz auf der Zunge tragen. In den Sprüchen ist ein differenzierteres Bild zu finden (nur Sprüche 16-19 im folgenden):

Wer Böses für Gutes vergilt,
von dessen Hause wird das Böse
nicht weichen (Sprüche 17,13)

Will heißen, wem Vertrauen, Offenheit, ehrliche Freude und Zutrauen entgegengebracht wird, und er "belohnt" dieses ehrliche Entgegenkommen mit einer aufgewärmten Botschaft, die schon an andere Menschen gerichtet wurden, der vergilt Gutes mit falschen Lippen:

Der Könige Gräuel ist, Gesetzlosigkeit tun;
Denn durch Gerechtigkeit steht ein Thron fest.
Der Könige Wohlgefallen sind gerechte Lippen;
Und wer Aufrichtiges redet, den liebt er (Sprüche 16, 12-13)
Ein Lügner gibt Gehör der Zunge des Verderbens (Sprüche 17,4)
Wer verkehrten Herzens ist,
wird das Gute nicht finden;
und wer sich mit seiner Zunge windet,
wird ins Unglück fallen (Sprüche 17,20)
Der Mund des Toren wird ihm zum Untergang,
und seine Lippen sind der Fallstrick seiner Seele (Sprüche 18,7)
Besser ein Armer, der in seiner Vollkommenheit wandelt,
als wer verkehrter Lippen und dabei ein Tor ist (Sprüche 19,1)
Ein falscher Zeuge wird nicht schuldlos gehalten werden;
Und wer Lügen ausspricht, wird nicht entrinnen (Sprüche 19, 5),
oder umkommen (Sprüche 19, 9)
Alle Brüder des Armen hassen ihn; wieviel mehr entfernen sich von ihm seine Freunde!
Er jagt Worten nach, die nichts sind (Sprüche 19,7)
Auch wer sich lässig zeigt in seiner Arbeit,
ist ein Bruder des Verderbers (Sprüche 18,8)
Faulheit versenkt in tiefen Schlaf, und eine lässige Seele wird verhungern (Sprüche 19, 15)
Höre auf Rat und nimm Unterweisung an, damit du weise seiest in der Zukunft. (Sprüche 19, 20)
Tod und Leben sind in der Gewalt der Zunge,
und wer sie liebt, wird ihre Frucht essen (Spr 18,21)

Hohe Zeit aufzuwachen!

Ist es verwunderlich, dass so sehr auf ehrliches Reden Wert gelegt wird, bei einem Gott, der sich auf das Wort gründet, das gesprochene, erzählte, verkündete, geschriebene Wort? Ein Gott, dessen Kommunikationsmittel menschliche Sprache ist, muss Wert auf wahres Wort legen, was nicht heißt, dass es immer die gleichen Worte sind in Jahrtausenden. Es geht um das Wort, das aus dem Wort in uns spricht und verstanden wird.

Das, was einem in der Bibel heute begegnet, passt heute ins Leben. Das macht viele, nicht alle, Bibeltexte unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte und auch von Religion. Die Bibel ist ein Weisheitsbuch vom Glauben. Die Weisheit Salomons ist nicht umsonst sprichwörtlich. Sie verweist mitten ins Leben und mitten in unser Scheitern. Auch heute noch.

Und noch ein weiser Spruch ist mir heute begegnet in einem Buch, das die „Neugeburt“ des Heiligen Benedikts beschreibt:

„Kehrtwendungen um 180° sind oft nur eine Illusion, denn unsere Gefühle und unser Verhalten müssen damit Schritt halten. Benedikts Verhalten gleicht einer Flucht. Wovor? Vor den Menschen, aber auch vor der eigenen Geschichte“*

Ein Übergehen und Weiterso bringt einem immer weiter vom rechten Weg ab.

Deshalb: Nichtweiterso!

Ein Verweis dringt bei einem Verständigen tiefer ein, als hundert Schläge bei einem Toren (Spr 17,10).

Herzliche Grüße
Deborrah

*) in: Gabriele Ziegler: Die Wüstenmütter. Weise Frauen des frühen Christentums. Camino. 2015

Dienstag, 12. Januar 2016

Bibel Zwistigkeiten

Lieber Luther,

wie du sicher bemerkt hast, befasse ich mich verstärkt mit der Weisheitsliteratur der Bibel, mit den Sprüchen und Psalmen. Beides sind Schatztruhen für den Glauben. Die Inhalte können auch heute noch bestehen, sofern man sich nicht von kirchlichen Dogmen in seinem Blickfeld begrenzen lässt. So will ich dieses Jahr schauen, wohin mich diese Weisheitsliteratur führt, das ein oder andere mit dir teilen. Womit ich mich sicher nicht befasse, sind die Predigttexte für dieses Kirchenjahr. Episteln. Jede Woche lese ich und versuche, etwas aus ihnen herauszuziehen, was nicht Dogma ist, aber es gelingt nicht. So lasse ich diese Texte links liegen, ich brauche mich nicht selbstkasteien.

Wofür hat Jesus gestanden? Sicher nicht dafür, was in den paulinischen Briefen steht. Fakt ist, dass die Jesusworte von den kirchlichen Bibelredakteuren entsprechend der Kircheninteressen umformuliert wurden. Nehmen wir dagegen das Thomasevangelium. Es ist ein Schatz, eine Sammlung von Jesusworten, ohne zusammenhängende Handlung. Das Thomasevangelium steht nicht in der Bibel. Es hat die kirchliche Zensur aus naheliegenden Gründen nicht passiert. Hier findet man einen anderen Jesus, als den, der uns kirchlich verkauft wird.

Das Thomasevangelium, so wie es in Nag Hammadi gefunden wurde, ist eine Übersetzung vom Hebräischen ins Griechische. Die Übertragung des Hag Hammadi Textes erfolgte etwa im 2. Jahrhundert n.Chr. Die Originaltexte sind damit spätestens im ersten Jahrhundert nach Christus entstanden und damit sehr zeitnah zu Jesu Leben. Für etwa die Hälfte der Texte gibt es Übereinstimmungen mit den synoptischen Evangelien Matthäus, Markus und Lukas, für die andere Hälfte nicht. Nicht alles, was als Jesusworte im Thomasevangelium überliefert ist, passte zu den kirchlichen Lehren. Deshalb wurde kurzerhand das gesamte Thomasevangelium als häretisch aussortiert.

Gott bewahrt sein Wort. Die gesammelten Jesusworte im Thomasevangelium geben einen Blick auf Jesus, der frei ist von Personenkult. Er zeigt, für was Jesus wirklich stand, sofern man das nach über 2000 Jahren und magerer Quellenlage überhaupt noch sagen kann. Er zeigt einen kämpferischen Jesus, der nicht so pazifistisch war, wie er nachträglich gemacht wurde, was allerdings auch schon in den kanonischen Evangelien nicht ganz weg zu redigieren war. Im Logion 16 von Codex II aus Nag Hammadi (NHC) liest man folgendes:

Jesus spricht: „Vielleicht denken die Menschen, dass ich gekommen bin, Frieden in die Welt zu werfen. Doch sie wissen nicht, dass ich gekommen bin, Zwistigkeiten auf die Erde zu werfen: Feuer, Schwert, Krieg. Es werden nämlich fünf in einem Haus sein: Es werden drei gegen zwei sein und zwei gegen drei, der Vater gegen den Sohn und der Sohn gegen den Vater. Und sie werden dastehen als einzelne.“ (NHC II, 2,16).

Was hat Jesus da vorhergesehen? Wieviel sind in seinem Namen in Kriege gezogen? Heute noch? Wieviel reklamieren ihn für sich, ohne einig zu sein, ja unversöhnlich? Katholische Kirche gegen evangelische Kirche und wiederum in der Lehre unterschiedlich die orthodoxen Kirchen. Nicht zu vergessen die vielen evangelikalen Kirchen oder Freikirchen. Schon nach Jesu Tod fingen die Zwistigkeiten an: Paulus gegen Jakobus, den Jesus nach NHC II, 2,12 zu seinem wahren Nachfolger bestimmt hat (NHC II, 2,12):

Die Jünger sprachen zu Jesus: „Wir wissen, dass du von uns gehen wirst. Wer ist es, der über uns herrschen wird?“ Jesus sprach zu ihnen: „Woher ihr gekommen seid – zu Jakobus dem Gerechten sollt ihr gehen, um dessentwillen der Himmel und die Erde entstanden sind.“

Über den Jakobusbrief in der Überlieferung von Nag Hammadi habe ich schon berichtet. Er eröffnet einen anderen Blick auf das, was Jesus mit „glaubt an mein Kreuz“ gemeint hat. Von Paulus, der Jesus nie getroffen und sich seine Lehre frei zusammengereimt hat, ist im Codex Nag Hammadi mit keiner Silbe die Rede.

Oder hat Jesus mit seinem Wort über die Zwistigkeit, die er bringt, seine kommende Vereinnahmung durch die verschiedensten, nicht miteinander zu vereinbarenden Theologierichtungen gemeint? Die Unterschiede fangen schon mit den verschiedenen Evangelien an, die in ihrer theologischen Richtung bei näherer Betrachtung unvereinbar sind. Das fällt nicht auf, wenn man innerhalb eines Evangeliums liest, oder nur 5 Verse, jedoch wenn man horizontal liest, die verschiedenen Stellen parallel, entdeckt man die Unterschiede. Etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, bei der grundlegenden Auffassung, ob das Reich Gottes mit Jesus bereits gekommen ist oder erst noch kommen wird. Wenn man darauf achtet, entdeckt man im horizontalen Lesen der vergleichbaren Bibelstellen den unterschiedlichen Duktus, der zu völlig anderen Schlussfolgerungen, Botschaften und Konsequenzen für die Leser bzw. Gläubigen führt, nimmt man sie ernst.

Das Markusevangelium, das als ältestes Evangelium angesehen wird, ist z.B. aus apokalyptischer Sicht geschrieben. Die Jesusworte werden hier so formuliert, dass die Botschaft ist: Gottes Reich kommt bald, durch den „Menschensohn“. Jesus, der Menschensohn, wird die Welt und ihre Menschen danach richten, ob sie Jesu Lehre angenommen haben oder nicht. Jesus ist derjenige der das Reich Gottes in das irdische Leben bringt. Nach seinem Tod wird Jesus bald zum Gericht zurückkehren und Gottes Reich bringen (was sich dann nicht erfüllt hat).

Das Matthäusevangelium ist dagegen in jüdischer Tradition verfasst. Matthäus Botschaft ist: Die Prophezeiungen aus der Alten Schrift sind mit Jesus in Erfüllung gegangen. Wer die Gesetze und die Gebote nicht einhält, wird das Heil nicht finden. Gottes Reich ist mit Jesus noch nicht gekommen. Eine diametral entgegengesetzte theologische Position vertritt Paulus: In Paulus Sichtweise braucht man kein Gesetz halten, um das Heil nicht zu verlieren, mit einer Ausnahme: das Gebot „Liebe deinen Nächsten“. Wieso genau das gilt und andere Gebote nicht, die wesentlich öfters in der Bibel erwähnt werden, ist unklar. Aber, an sich ist auch das bei Paulus egal, da der Mensch schon durch den Glauben allein an Jesus Christus gerechtfertigt ist. Bei Matthäus geht dagegen ohne Einhaltung des Gesetzes gar nichts. In der Bergpredigt heißt es:

„Ihr sollt nicht wähnen, dass ich gekommen bin, um das Gesetz oder die Propheten aufzulösen, sondern zu erfüllen. Denn ich sage euch wahrlich: Bis dass Himmel und Erde zergehe, wird nicht zergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüttel vom Gesetz, bis dass es alles geschehe. Wer nun eines von diesen kleinsten Geboten auflöst und lehrt die Leute also, der wird der Kleinste hießen im Himmelreich; wer es aber tut und lehrt, der wird groß heißen im Himmelreich“ (MT 5, 17-19).

Das nimmt, interessanterweise, der Jakobusbrief wieder auf: Denn so jemand das ganze Gesetz hält und sündigt an einem, der ist’s ganz schuldig (Jk 1,10). Jakobus hat Jesus in einem im Thomasevangelium zitierten Logion wie bereits erwähnt zu seinem Nachfolger erklärt. Jesus war dieser Position gemäß seiner jüdischen Tradition sehr nahe, Paulus sehr ferne.

Der Schreiber des Lukasevangeliums hatte eine noch andere theologische Position: Jesu Tod soll die Menschen dazu bringen ihre Sünden zu bereuen und zu Gott umzukehren. Das Heil erwirkt der Mensch durch Buße, wodurch er Vergebung erlangt. Sünden müssen vergeben werden und dazu ist Umkehr und Buße notwendig. Jesu Tod ist für ihn kein Tod für unsere Sünden. Gleich im Eingangskapitel stellt Lukas seine theologische Position klar.

Die Erkenntnis des Heils besteht, wie im Benedictus festgehalten, „in Vergebung ihrer Sünden durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes“ (Lk 1, 77). Manche übersetzen, dass die Barmherzigkeit unseres Gottes uns „besucht hat“, andere „besuchen wird“. Das ist für einen Gläubigen ein fundmentaler Unterschied. In dem einem Fall hat Gottes Barmherzigkeit uns schon besucht, im anderen Fall wird sie es erst in einer unbestimmten Zukunft tun. Auch in die Übersetzungen spielen die theologischen Positionen hinein. Für Lukas ist Sünde immer mit noch notwendiger Vergebung verknüpft, Jesu Tod erinnert daran, dass die Menschen zu Gott umkehren müssen. Jeder Mensch muss aber für sich Buße tun und Vergebung erlangen.

Eine wesentlich abstraktere Sicht herrscht im Johannesevangelium, das als letztes entstanden ist. Jesus ist hier fleischgewordenes Wort und Jesus wird in seiner Person in den Mittelpunkt gestellt. Der Schreiber legt Jesus eine Vielzahl „Ich bin“ Worte in den Mund. Wer wie er Licht werden will und zum Vater in den Himmel kommen will, glaube an ihn und seine Worte. „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich” (Joh 14, 6). Im Johannesevangelium wird Jesus zum Flaschenhals zur Erreichung des Heils. Es hat eine Sonderstellung, da es eine eigene Theologie vertritt, die nicht Jesu Auffassung war und sein konnte, da Jesus in jüdischer Tradition und Kultur aufwuchs und lehrte, nicht in griechischer.

Und was vertreten die Kirchen heute? Sie nehmen sich verschiedene Teile aus allen Evangelien und der Bibel und bauen sich daraus ihre eigenen Theologien und Dogmen, für sich in Anspruch nehmend, dass allein ihre Variante zum Heil führt. Alle Varianten sind gleich richtig oder falsch.

Jesus spricht: „Vielleicht denken die Menschen, dass ich gekommen bin, Frieden in die Welt zu werfen. Doch sie wissen nicht, dass ich gekommen bin, Zwistigkeiten auf die Erde zu werfen: Feuer, Schwert, Krieg. Es werden nämlich fünf in einem Haus sein: Es werden drei gegen zwei sein und zwei gegen drei, der Vater gegen den Sohn und der Sohn gegen den Vater. Und sie werden dastehen als einzelne.“ (NHC II, 2,16).
Lieber Luther, genauso ist es gekommen und genauso wird es weitergehen.

Weitere Texte aus der Quelle Nag Hammadi: http://deborrahs.com/?s=Nag+Hammadi

Herzliche Grüße
Deborrah

Freitag, 1. Januar 2016

Psalmen und Sprüche

Lieber Luther,

ich habe mich entschlossen, nach einem Jahr Pause wieder einen Bibelleseplan anzufangen, der mich täglich einen Blick in die Bibel werfen lässt. Ich will mir nicht mehr so viel zumuten wie 2014, das könnte ich neben meinen übervollen Berufsalltag nicht schaffen. Ich werde also die nächsten 372 Tage Psalmen und Sprüche lesen. Ich habe gerade angefangen und merke, wie mich das inspiriert.

Psalmen sind Lobgesänge. Schon im Lesen merkt man, wie der innere Mensch, die Seele, anfängt, die Schönheit und Erhabenheit Gottes zu besingen. Die Gedanken können kaum folgen, so angeregt sind sie von beiden – Psalmen und Sprüche. Ich könnte schreiben und schreiben…

In den Psalmen und Sprüchen sind wir alle gleichermaßen als Kinder Gottes angesprochen:

Du bist mein Sohn, meine Tochter, mein Kind,
ich habe dich heute gezeugt (Ps 2, 7).
Du bist in mir jeden Tag neu erschaffen.
Ich zeuge von dir. 

Bei den Sprüchen ist beschrieben, worum es geht: Es geht darum, die „Worte des Verstandes“ zu verstehen, es geht um Gottesverständnis, um Weisheit und Erkenntnis. Es geht darum, „verschlungene Rede“ zu verstehen, die Gottes-Weisheits-Worte der Weisen und ihre Rätsel (Spr 1,5)

Sprüche 1 ist ein Auftakt, der die Richtung weist: So höre mein Kind. Es liegt nicht auf der Hand, es ist nicht einfach zu verstehen, was die Botschaft Gottes ist und die Lehre ist, die daraus zu ziehen sind. Gott ist ein Rätsel und gibt Rätsel auf, die der Mensch nur bedingt entschlüsseln kann. Gott vermögen wir nicht direkt zu befragen. Auch wenn wir alle Weisheit dieser Welt zusammennehmen, ein Gottes-Ganzes wird daraus nicht. Auch die Weisesten können nur helfen, sich dem Göttlichen zu nähern. Es bleibt immer nur eine versuchte Annäherung. Was auch bleibt, ist die Versuchung, falschen Verlockungen nachzugeben, wider die Weisheit. Nur Narren verachten Weisheit und Verstand (Spr 1, 7).

Psalmen und Sprüche sind voller Weisheit und es bedarf der Weisheit, sie zu verstehen und seine Lehren daraus zu ziehen. Sie fordern auf: Mein Sohn, meine Tochter, sei nicht hochmütig, geh in die Lehre, nutze die Weisheit, von der Psalmen und Sprüche erzählen, um deinen Weg zu finden. Die Psalmen und Sprüche erzählen auch davon, dass die Weisheit sich nicht einfach Bahn bricht. Sie erzählen vom Leben wie es ist, ohne Schönfärberei, darin eingeschlossen Gewalt- und Machtausbrüche, so wie diese, bar jeder Weisheit, unleugbar Teil des Lebens sind.

Wenn wir heute nur einmal die Nachrichten anschauen, übertreffen wir heutzutage spielend die in der Bibel berichteten Gräueltaten. Scheinheilige Empörung ist fehl am Platz und hält uns nur den Spiegel unserer eigenen Falschheit vor. Auch in der Beziehung ist die Bibel schonungs- und zeitlos. Nur die Mittel der Gewalt haben sich geändert. Sie sind noch brutaler und tödlicher geworden. Menschen schrecken vor keiner Abscheulichkeit gegen andere Menschen und gegen die Schöpfung zurück. Heute wie vor 3000 Jahren. Nur erlaubt die heutige Technik eine flächendeckendere und entmenschlichtere Menschen-Ermordungs-Maschinerie als vor 3000 Jahren. Drohnen und Bomber müssen ihren Opfern nichts ins Auge sehen. Man muss nur noch auf den Knopf drücken und „die Sache“ ist erledigt. Blut klebt den Verantwortlichen nur indirekt an den Händen.

Psalmen und Sprüche spiegeln Glaubenserfahrungen und Glaubensweisheiten wider, die zum Teil über 3000 Jahre alt sind. Sie sind nach und nach entstanden. Die Mehrzahl der Psalmen wird König David zugeschrieben, die Sprüche seinem Sohn Salomon. Faktisch sind sie jedoch nicht als ein Ganzes entstanden, sondern im Laufe der Jahrtausende erst unter „Psalter“ und „Sprüche“ zusammengefasst worden. Auch die Reihenfolge, in der sie stehen, war keinesfalls fix. Sie haben vielfältige Autoren, Anpassungen und Veränderungen erfahren. Ein erstes Buch „Psalmen“ entstand etwa 300 v.Chr., aber nicht in seiner jetzigen Form.

Letzten Endes ist die Entstehungsgeschichte unerheblich, sofern man nicht aus dem Blick verliert, dass die Texte von Menschen über Jahrhunderte mündlich überliefert, irgendwann aufgeschrieben, abgeschrieben, übersetzt, interpretiert wurden. Jede Art der Überlieferung und Veränderung war vom jeweiligen gesellschaftlichen und kulturellen Kontext geprägt. Alle Bibeltexte sind Menschenwerk, von Menschenhände und Menschengeist in seiner jeweiligen Zeit in eine mündliche oder schriftliche Form gebracht. Selbst jetzt gibt es nicht „die“ Bibeltexte. Die Unterschiede in den Übersetzungen sind zum Teil erheblich und führen zu völlig unterschiedlichen Botschaften. Ich habe darüber schon häufig geschrieben.

Aber, selbst das ist unerheblich, denn, um auf den Ausgangspunkt zurückzukommen, es geht darum, Erkenntnis, Weisheit und Verständnis des Göttlichen zu vermitteln, um dem Menschen zu ermöglichen, die richtigen Lehren daraus zu ziehen. Es geht um die Botschaft, um die Lehre, weniger um die Entstehungsumstände, es geht nicht um absolute Wahrheiten, sondern um „die“ Wahrheit, die jeder Mensch, in seinen besonderen Lebensumständen, daraus zieht.

Niemand kann einem das Vorbeten. Die Söhne und Töchter Gottes sind selbst gefragt. Jeder liest anders, hat einen anderen Erfahrungs-, Lebens- und Bildungshintergrund. Es gibt kein „wahres“ Lesen oder eine „wahre“ Interpretation dessen, was diese Glaubemsweisheitsliteratur zu vermitteln hat. Sie ist zeitlos und glücklich, wer sie frei von Doktrin mit persönlichem Gewinn lesen kann.

So kann, lieber Luther, jeder über Psalm 2 nachdenken:

Warum toben die Nationen und beherrschen Egoisten die Welt?
Warum ratschlagen Machthaber miteinander gegen andere Machthaber? 

Die Antwort ist radikal:

Lasst uns zerreißen ihre Bande und von uns werfen ihre Seile, in die sie uns binden und verstricken.

Nachdenken kann man auch darüber, wieso Ps 2 der meistzitierte im Neuen Testament ist. Der Psalm wird gerne angezogen, um Jesus vermeintlich exklusive Gottessohnschaft theologisch zu vereinnahmen.

„Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt.“ (Ps 2, 7)

Lukas nimmt das in seiner Weihnachtsgeschichte  auf  (Lk 1, 35). Mariens Schwangerschaft vom Heiligen Geist sagt im Prinzip nichts anderes als Psalm 2, 7: Der Sohn der Maria ist ein Sohn Gottes, so wie all diejenigen, die – wie in Ps 1, 2 zu lesen – ihre Lust an Gott haben und Tag und Nacht zu ihm hinstreben. Auch bei Jesu Taufe wird diese Botschaft erneuert: „Du bist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe“ (Mk 1, 11; Mt 3, 17). Das macht auch theologisch Sinn. Jesu Taufe wird in der Bibel vor den Beginn seiner Lehrwanderschaft gesetzt. Was liegt näher als eine Bekräftigung der Überzeugung, dass derjenige, der lehrt, und dem man eine zentrale Bedeutung in der eigenen Gotteslehre zumisst, auch ein Sohn Gottes ist und kein Gottloser. Ein weiteres Bekenntnis der Gottessohnschaft Jesu erfolgte im Bericht über die Verklärung Jesu. Auch hier heißt es: Und eine Stimme fiel aus der Wolke und sprach: Das ist mein lieber Sohn; den sollt ihr hören! (Mk 9, 7).

In den Psalmen belehrt David die Menschen, in den Sprüchen Salomon, in den Evangelien Jesus: Das ist mein Sohn – oder König, oder Gesalbter -, den sollt ihr hören! Lieber Luther, in dem Sinne, spitzen wir die Ohren, öffnen unser Herz, unseren Verstand und unsere Sinne, dass etwas von der Weisheit dieser Lehrer zu uns überspringt.

Herzliche Grüße
Deborrah

PS: Die Lesefrüchte kannst du hier verfolgen
Sprüche: http://deborrahs.com/sprueche/ 
Psalmen: http://deborrahs.com/psalmen-galerie/

Sonntag, 27. Dezember 2015

Danket dem HERRN

Lieber Luther,

der Weihnachtstrubel ist vorbei, die Menschen rennen zum nächsten Ereignis, die Silvesterparty ruft. Zeit einzuhalten. Psalm 118:

Danket dem Herrn, denn er ist gütig.

Danke, du Volk Gottes.
Danke, du Samen Jakobs.
Danke, der du Gott in Ehrfurcht begegnest.

Du bist angesprochen,
du Volk Gottes,
du Familie seiner Nachfolger,
du Mensch, der sich zu Gott bekennt.

Du verirrtes Volk,
du zerstrittene Familie,
du selbstsüchtiger Mensch,

ihr alle,
die ihr in Not Gott anruft:
Lobet den HERRN,
denn er ist unser Heil.

Öffnet eure Herzenspforten,
befriedet euch,
damit ihr zum Eckstein
in Gottes Haus werdet.

Der HERR lässt's gelingen und
es erscheint wie ein Wunder.
Das ist der Tag,
den der HERR gemacht hat!

Freut euch mit Gott,
wir werden nicht sterben,
sondern von seinen Werken erzählen.
Ach HERR, lass doch gelingen.

Gesegnet sind alle,
die da kommen
im Namen des HERRN.
Ach HERR, erleuchte uns.

Preist den HERRN, denn er ist gütig.

Eckstein
Wer setzt den Eckstein?
Ihr lest es, tut es aber nicht!


Montag, 9. November 2015

Gefangen in Dogmen

Lieber Luther,

wieso scheinen die Kirchen so unbeweglich, so starr und so tot? Sie sind Gefangene ihrer Dogmen. Diese knebeln sie so sehr, dass sie letzten Endes an ihre Selbstfesselung ersticken werden. Die Grundfrage dahinter ist: Lässt sich Gott und seine Allumfasstheit wissenschaftlich erfassen?

Dogmatik, so schreibt Karl Barth, der evangelische Kirchenvater des 20.Jahrhunderts,

ist die Wissenschaft, in der sich die Kirche entsprechend dem jeweiligen Stand ihrer Erkenntnis über den Inhalt ihrer Verkündigung kritisch, d.h. am Maßstab der Heiligen Schrift und nach Anleitung ihrer Bekenntnisse Rechenschaft gibt.

Es geht um die christliche Kirche und um das Was der Verkündigung. Und es geht um den wissenschaftlichen Anspruch. Wer sich mit Dogmatik befasst, so Barth, müsse sich auf den Boden der christlichen Kirche und ihres Werkes stellen. Das sei eine conditio sine qua non.

Damit sind die Fronten klar. Kritik kann nur von denjenigen kommen, die außerhalb der Kirchen stehen. Sie werden aber per definitionem von der Berechtigung, sich mit den aufgestellten Dogmen zu beschäftigen, ausgeschlossen. Die Schotten sind dicht zu halten.

„Die“ Kirche könne zwar mit der Erkenntnis dessen, was sie zum Dogma erhebt, irren, aber das sei ihr nicht zum Vorwurf zu machen, da man nur das von ihr verlangen könne, was gerade der Stand ihrer Erkenntnis sei. Das sei ihrer Existenz in der jeweiligen Geschichte geschuldet.

Was ist „die“ Kirche? Die Kirche sei, und da hört die Wissenschaft auf und das Dogma fängt an, eine Gabe Gottes. Man könnte sie auch nüchtern als eine Organisation definieren, die wie jede andere, eine Hierarchie hat, Macht und Einfluss ausübt oder ausüben will, verfasst ist, Mitglieder hat, eine Verwaltung, eine Unternehmensphilosophie und, nicht zu vergessen, wirtschaftliche Interessen.

Die Auffassung der Kirche als Gabe Gottes verweist zurück auf ein Theologieverständnis, das „die“ Heilige Schrift, „das“ Evangelium, als das Wort des sich selbst kundgebenden Gottes auffasst. Das Selbstverständnis von Kirche, Theologie, Dogma und Schrift ist, dass es Gottes Wille und Werk ist, das sie ist, was sie ist, wie sie ist und dass sie ist. Es bestehen drei Voraussetzungen, die ihre Existenz begründen:


  • Die Texte der Schrift sind die Selbstkundgebung Gottes
  • Menschen, denen es gegeben ist und die bereit sind anzuerkennen, dass diese Selbstkundgebung Gottes für sie geschehen ist.
  • Die Vernunft, d.h. das Wahrnehmungs-, Urteils- und Sprachvermögen aller (glaubenden) Menschen, dass es diesen technisch ermöglicht, sich an der dem im Evangelium sich selbst kundgebenden Gott zugewendeten theologischen Erkenntnisbemühungen aktiv zu beteiligen.


Die gesamte (evangelische) Theologie wird um das Dogma gebaut, die zur Bibel von Menschen zusammengefassten Schriften seien unanfechtbar und unanzweifelbar Gottes Wort, das er selbst, mitten unter den Menschen an alle Menschen gerichtet und gesprochen hat, spricht und sprechen wird. Es sei das Wort seines Tuns an den Menschen, für die Menschen und mit den Menschen, ein sprechendes Tun.

Die Schrift wird als absolutes Wort Gottes gesetzt, zum einen Wort des EINEN, das nicht vieldeutig, sondern eindeutig ist und sowohl „dem Weisesten wie dem Törichsten an sich sehr wohl verständlich“. Diese (evangelische) Theologie, ja die ganze Kirche, steht und fällt mit dem Dogma vom Evangelium als gesprochenes Wort Gottes, noch eingrenzender: „Das Wort Gottes ist darum Evangelium, gutes Wort, weil es Gottes gutes Tun ist, das in ihm zur Aussprache und Ansprache wird.“

Gott wird mit menschlichem Maß gemessen, an unserem Begriff von Gut und Böse. Mensch schreibt Gott das „Gut“ zu. Ist das eine Kategorie für Gott? Denkt Gott in Gut und Böse, oder ist es nur der Mensch, der gut und böse ist und auf Gott projiziert, dass auch er gut und böse ist? Gut und Böse sind so oder so Kategorien, die nicht absolut fassbar sind. Wie nicht absolut fassbare Kategorien, deren Inhalt sich in Jahrtausenden vielfach geändert hat, zum Maßstab für Gott setzen? Oder meint man darunter ein ganz bestimmtes Gut und Böse, ein dem „abendländischen“ Kulturverständnis geschuldetes? Gibt es das überhaupt? Ist Gott ein aufrechter Europäer oder Deutscher oder Schweizer? Das wäre uns wohl das Liebste. Schon die Idee, dass Gott ein auf menschliches Maß reduziertes Wort, Denken und Tun hat, ist eine Reduktion Gottes auf menschliches Maß, eine menschliche Anmaßung sondergleichen.

Theologie setzt sich über Gott. Theologie spielt Gott. Sie maßt sich an für Gott zu sprechen, verschanzt hinter einer Pseudowissenschaft, die ihre Dogmen, ihre Existenz an sich, rechtfertigen will. Wie kann sich ein Mensch, eine Kirche, ein Theologe, anmaßen, für Gott zu sprechen, der sich unserer Phantasie und schon gar jeder Wissenschaft entzieht? Es wird zwar eingeschränkt „dem Stand der Erkenntnisse“ entsprechend, aber welche wissenschaftliche Erkenntnis kann es von Gott geben? Gottes Geheimnis entzieht sich jeder menschlichen Wissenschaft und jeglichem menschlichen Verstand. Bescheidenheit steht bei Kirchen und ihrer Theologie nur auf dem Papier, es ist vielmehr eigene Überhöhung, Rechtfertigung der eigenen Existenz.

Lieber Luther, entgegen jeder Wissenschaft, entgegen jeder Vernunft, besteht die christliche Theologie darauf, dass die Schriften, die wir als Bibel kennen, das gesprochene eindeutige Wort Gottes ist. Da erübrigt sich jedes Wort. Aus Macht- und Existenzerhaltungsgründen kann sie gar nicht anders. Eine Kirche, eine Theologie, die ein Sammelsurium von Schriftstücken zum Gott macht, die ihre Existenz und ihr gesamtes Fundament darauf gründet, hat sich selbst in ein dogmatisches schwarzes Loch katapultiert, in dem sie irgendwann verschwinden wird. Jedenfalls wird klar, wieso dieses Dogma mit Zähnen und Klauen verteidigt wird.

Es wird mir dabei auch erschreckend klar, wieso Pastoren, die in dieser Denke ausgebildet wurden, sprachlos sind, nichts zu sagen haben, für nichts einstehen, für nichts jedenfalls, was die Schrift betrifft, die sie rechtfertigen sollen. Als Zeugen 2.Klasse, nach den Autoren der Schrift – den behaupteten „Zeugen“, die sie faktisch nicht waren - sind sie schon per Dogma als ein Zeuge Gottes kastriert. Schon per Lehre kann Gottes Wort nicht an sie ergehen. Gottes Wort ist mit seiner Selbstäußerung in den Schriften der zur Heiligen Schrift kanonisierten Bibel per Dogma verstummt. Wen wundert da die Verirrung der Pastoren, die Predigten, die oft jenseits jeder Schrift sind?

Die (evangelische) Kirche benimmt sich mit der Selbstfesselung in ihren Dogmen die Chance, die Schriften der Schrift als das zu sehen, was sie sind und zu leisten vermögen: Sie geben Zeugnis von Menschen und ihrer Begegnung mit Gott über Jahrtausende. Im Echo dieser Erfahrungen bekommen wir eine Ahnung von Gott, wächst unsere Sehnsucht, diesen Gott in seinem Tun jeden Tag zu erfahren, mit ihm in Kontakt zu treten. Insofern sind diese Zeugnisse von unschätzbarem Wert für uns, weil sie uns auf die Spur Gottes bringen. Die Kirchen und Theologen, welcher Couleur auch immer, braucht es dazu nicht.

Herzliche Grüße
Deborrah

Keine leichte Kost:
Karl Barth: Einführung in die evangelische Theologie; 8.Aufl.; Zürich 2013
Karl Barth: Dogmatik im Grundriß; 11. Aufl.;  Zürich 2013